- Unberührt -

von Tobias Ryser

Im Winter gestaltet sich die Naturfotografie viel aufwändiger als im Rest des Jahres. Denn damit zauberhafte Winterbilder entstehen, muss unglaublich viel zusammenpassen. Wind und Kälte sind herausfordernd und ich komme viel schneller an meine physischen Grenzen als sonst schon.

Das Zeitfenster für unberührte, tief verschneite Winterbilder ist äusserst klein. Nach einem Schneefall muss ich als Erster zur Stelle sein bevor die ersten Spuren im Schnee zu sehen sind. Kaum an der Sonne, schmilzt das Weiss von den Bäumen.

Bei Neuschneeprognosen werde ich immer ganz aufgeregt und studiere die Wettermodelle, den Lawinenbericht und die Landeskarte im Minutentakt. Wohin soll ich bloss gehen und wo könnte es passen? Über mehrere Tage verfolge ich die Situation äusserst genau und entscheide mich oft im allerletzten Moment, wo ich mein Glück versuchen werde.

Dann liegt der nächtliche Aufstieg vor mir. Ich montiere meine Schneeschuhe und marschiere los. Alles liegt unter einer dicken Schneedecke begraben. Der frische Schnee knirscht unter meinen Füssen und zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht. Wie ich diesen Klang vermisst habe!

Schemenhaft erkenne ich die schneebeladenen Bäume. Die Wetterfront zieht langsam ab und ich erkenne einige Sterne am Himmel. Der Atem gefriert an meinem Bart, das Blut pulsiert in meinen Adern.

So lebendig wie jetzt fühle ich mich selten. Ich bin fokusiert und spüre jede Faser meines Körpers. Die Luft ist kalt und rein und ich geniesse jeden Atemzug.

Die Minuten verstreichen und endlich stehe ich an meinem Ziel. Schnell ziehe ich mich um und montiere die dicken Schichten.

Ich schaue in die unberührte Landschaft und weiss, dass ich jetzt keinen Fehler machen darf. Behutsam taste ich mich vor, denn jeder falsche Schritt könnte mein Traumbild zerstören.

Dies ist die Reinheit des Winters. Eiskalt, still und von kurzer Dauer. Und ich stehe hier, um sie für immer festzuhalten.